Antibiotika – ein zweischneidiges Schwert

Es kann gar nicht genug betont werden, dass Antibiotika in der Praxis zu häufig und ohne angemessene Indikation gegeben werden. Antibiotika wirken grundsätzlich nur antibakteriell, keineswegs antiviral. In Abwesenheit einer bakteriellen Infektion kann daher ein Antibiotikum nicht wirken.

Antibiotika können durchaus problematisch sein und  nicht nur von Nutzen. Mögliche Gefahren liegen in unerwünschten Wirkungen (sogenannte Toxizität) wie etwa Durchfall, allergische Reaktionen, Blutbildveränderungen usw.), aber auch vor allem der Selektion (Auswahl) von resistenten Bakterien (d.h. Überleben von Bakterien, die Mechanismen haben oder durch Antibiotikatherapie entwickelt haben, sich der Wirkung der Antibiotika zu entziehen.)

Das größte Problem für den einzelnen Patienten besteht im Erwerb von Pseudomonas aeruginosa, da dieses Bakterium kaum mehr zu eliminieren ist, andererseits aber den Abbau an Lungenfunktion fördert.

Das größte allgemeine Problem eines übermäßigen Antibiotikagebrauchs besteht in der „Abnutzung“ des Antibiotikums; schon heute ist Realität, dass viele Bakterien, die früher empfindlich gegen Standard-Antibiotika waren, es heute nicht mehr sind.

Akute Exazerbation der COPD – wann Antibiotika, gegen welche Erreger?

Die Mehrzahl der akuten Exazerbationen der COPD ist primär viral bedingt. Im Rahmen der Virusinfektion kommt es entweder zu einer Vermehrung von Bakterien, die den Bronchialbaum kolonisieren oder auch zu einer zusätzlichen bakteriellen Infektion. Bakterien können in bis zu 50% der Fälle mit Exazerbation nachgewiesen werden. Entsprechend findet sich eine gesteigerte lokale (im Bereich der Bronchien) und systemische (im Blut nachweisbare) Entzündungsreaktion.

Das Spektrum der identifizierbaren Bakterien umfasst bei leicht- bis mittelgradiger COPD in erster Linie Haemophilus influenzae, Streptococcus pneumoniae und Moraxella catarrhalis, unter einer FEV1 von 50% des Solls zusätzlich Enterobakterien (eine Gruppe von Bakterien wie z.B. Escherichia coli, Klebsiella spp. u.v.a. mehr) und Pseudomonas aeruginosa.

Somit unterscheidet sich das Spektrum deutlich von dem der ambulant erworbenen Pneumonie.

Vorsicht: nicht jede Exazerbation ist eine Infektion!

Während die häufigste Ursache der Exazerbation somit eine bronchiale Infektion ist, müssen auch andere Ursachen bedacht werden. Am häufigsten sind in dieser Gruppe Angst- bzw. Panikreaktionen, ggf. im Zusammenhang mit dem Erleben von Hilflosigkeit im Rahmen der Atemnot und Immobilität. Desweiteren können eine dekompensierte Herzerkrankung, eine zunehmende ventilatorische Insuffizienz (mit CO2-Erhöhung), Lungenembolien (Verschleppung von Gerinnungsmaterial in die Lungenstrombahn) und Pneumothoraces (Ablösung der Lunge von der Thoraxwand) ursächlich zugrunde liegen.

Stellenwert der antibiotischen Therapie – wann also muss sie gegeben werden?

Bis heute ist immer noch nicht geklärt, welche Patienten von einer antibiotischen Therapie profitieren und worin genau ihr Vorteil liegt.
Auf dem jetzigen Stand des Wissens können daher lediglich einige Leitsätze formuliert werden.

1. Von einer antibiotischen Therapie profitieren nicht:

Patienten mit leichtgradiger COPD,  leichtgradiger Exazerbation und ohne eitriges Sputum

2. Von dieser profitieren wahrscheinlich:

Patienten mit eitrigem Sputum und Patienten mit schwergradiger Exazerbation

3. Der Vorteil einer antibiotischen Therapie

besteht primär in einer schnelleren Überwindung der Exazerbation. Eine klinisch relevante Reduktion der Exazerbationsrate konnte nicht konsistent gezeigt werden. Einzig für Moxifloxacin (=Avalox) bestehen diesbezüglich Anhaltspunkte, vor allem bei Vorliegen einer Exazerbation mit Nachweis von Haemophilus influenzae. Dies ist jedoch keinesfalls ein Grund, primär oder immer nur mit diesem Antibiotikum zu behandeln.

4. Eine antibiotische Therapie

ohne gleichzeitige Gabe von systemischen Steroiden (= Kortison in Tabletten oder Injektionsform) ist nach Stand des Wissens falsch. Steroide müssen immer dazu gegeben werden.

5. Die Indikation zur antibiotischen Therapie

muss daher weitgehend auch individuell entschieden werden. Als Grundregeln gelten dabei: 1) kritische Prüfung in jedem Fall; 2) je kränker, desto eher.

Wie stellt mein Arzt fest, dass ich Antibiotika brauche?

Die Indikation zur antimikrobiellen Therapie erfolgt in der Praxis traditionell anhand der sogenannten „Anthonisen-Kriterien“, d.h. bei Vorliegen der Symptome zunehmende Dyspnoe, zunehmendes Sputumvolumen sowie Verfärbung des Sputums. Von diesen Kriterien scheint die Verfärbung des Sputums das wichtigste zu sein.

Verfärbung des Sputums: das beste Zeichen für eine bakterielle Infektion

Unter einer Verfärbung wird der Umschlag in eine gelblich-grünliche Farbe verstanden. Sie entsteht bei bakterieller Superinfektion im Wesentlichen durch Myeloperoxidasen der Neutrophilen und korreliert dementsprechend mit der Neutrophilenzahl (= bestimmte Form von weißen Blutkörperchen, die für die Immunabwehr von Bakterien zuständig ist). Eine solche Verfärbung prädiziert in 94% der Fälle das Vorliegen eines bakteriellen Pathogens, und nur in 13% liegt ein solches ohne Verfärbung des Sputums vor. Ein möglicher Nachteil dieses Prädiktors besteht darin, dass manche Patienten nicht abhusten können.

Procalcitonin: was ist das und braucht man das?

Alternativ ist eine Indikationsstellung zur antimikrobiellen Therapie auch über den Parameter Procalcitonin (PCT) im Blut möglich. Durch einen PCT-gesteuerten Algorithmus lässt sich die Anzahl der antimikrobiellen Therapien etwa halbieren. Allerdings ist bislang unklar, was ein erhöhtes PCT überhaupt repräsentiert. Bisher konnte kein Zusammenhang zwischen PCT und bakterieller Infektionen gezeigt werden, so dass sich die Frage stellt, ob das PCT-gesteuerte Vorgehen nicht nur allein deshalb erfolgreich ist, weil nur die Minderheit der Patienten von einer antimikrobiellen Therapie profitiert. Desweiteren sind Nachteile dieses Vorgehens, die fragliche Verfügbarkeit des Testergebnisses in kurzer Zeit in der Praxis sowie erhöhte Kosten. In unserer Erfahrung hat sich das PCT in dieser Indikation bislang nicht bewährt.

Welche Antibiotika werden eigentlich gegeben?

Erneut im Unterschied zur ambulant erworbenen Pneumonie kann die Auswahl der initialen kalkulierten antimikrobiellen Therapie in der Regel im Spektrum beschränkt bleiben, da bei akuter Exazerbation und sichergestellter Ventilation keine vitale Gefährdung durch einen möglicherweise nicht im Spektrum erfassten Erreger oder eine etwaige bakterielle Resistenz ausgeht.

Insofern ist eine initiale Therapie mittels Ampicillin/Sulbactam (z.B. Augmentan oder besser Unacid) für die meisten Patienten ausreichend, im Falle einer Unverträglichkeit ist ein Chinolon angezeigt (z.B. Moxifloxacin = Avalox).

Ausnahmen umfassen die schwere Exazerbation sowie Patienten mit bekannter Kolonisation durch Enterobakterien und/oder Pseudomonas aeruginosa. Diese sollten initial eine Therapie mit einer antipseudomonal wirksamen Substanz erhalten (z.B. Piperacillin/Tazobactam, Ceftazidim, Ciprofloxacin, Imipenem oder Meropenem) (siehe Abbildung).

Wie stets sollte nach Vorliegen von Sputumkultur und Resistogramm wenn möglich eine De-eskalation durch Verengung des antimikrobiellen Spektrums auf den identifizierten Erreger erfolgen.

Patienten, die häufig exazerbieren (≥2 / Jahr), sollten nicht zweimal hintereinander dieselbe antimikrobielle Therapie erhalten. Vielmehr ist in solchen Fällen ein „Cycling“ angezeigt, also der Wechsel von Substanzklassen (ß-Laktam – Chinolon – ggf. auch Tetrazyklin oder Makrolid).

Gibt es eine Antibiotika-Prophylaxe gegen akute Exazerbationen oder was kann man dagegen sonst tun?

Neue Daten zeigen, dass das Antibiotikum aus der Gruppe der „Makrolide“ mit dem Namen „Azithromycin“ die Exazerbationsrate senken kann. Das ist allerdings nicht unproblematisch, da auf Dauer Resistenzen gegen Bakterien vorprogrammiert sind (vor allem gegen Streptococcus pneumoniae). Patienten mit Herzerkrankungen können Herzrhythmusstörungen bekommen, manche können sogar tödlich sein. Außerdem treten nicht selten Hörstörungen auf.

Daher ist diese Option für die meisten keine sinnvolle Therapie. Anders ist die Lage bei Patienten mit schwerer COPD und Pseudomonas aeruginosa. Hier ist Azithromycin hochwirksam, nicht etwa aufgrund seiner antibiotischen Wirkung, sondern aufgrund seiner entzündungshemmenden Wirkung zusammen mit seiner spezifischen Fähigkeit, die „Unterhaltung“ bzw. „Absprachen“ von P.aeruginosa-Bakterien zu unterbrechen.

Mögliche Alternativen bestehen in dieser Situation in der Inhalation von sogenannten Aminoglykosiden (z.B. Gentamicin, Tobramycin, Amikacin, in Zukunft auch Ciprofloxacin). Zudem sind orale Antibiotikaeinnahmen in zyklischer Form (z.B. wöchentlich bzw. zweiwöchentlich mit zwischenzeitlicher Pause) möglich. Solche Therapien beschränken sich jedoch auf Ausnahmeindikationen und müssen vorher gut besprochen werden. In jedem Fall ist dabei ein engmaschiges Monitoring von unerwünschten Wirkungen und möglichen bakteriellen Resistenzen erforderlich.

Fazit: Sind Antibiotika richtig oder falsch?

Antibiotika sind immer richtig, da eine hochwirksame Therapie, wenn sie angezeigt sind. Umgekehrt sind sie immer falsch, wenn keine Indikation besteht. In jedem Fall müssen Wirkung und mögliche unerwünschte Wirkungen kritisch bedacht werden.

Warum werden so häufig Antibiotika gegeben, wenn keine Indikation besteht und was kann man dagegen tun?

Erfahrungsgemäß ist die nicht angemessene Verschreibung von Antibiotika (neben anderen Gründen) das Resultat von ärztlicher Unsicherheit oder einer empfundenen Forderungshaltung des Patienten oder beides. Die ärztliche Unsicherheit resultiert aus dem Gefühl, angesichts der Not des Patienten etwas tun zu müssen und zwar rasch. Da bietet das Antibiotikum scheinbar die größte Sicherheit. Ähnlich denkt so mancher Patient und ist womöglich irritiert, wenn er kein Antibiotikum verschrieben bekommt, von dem er sich so viel verspricht.

In dieser Situation helfen nur ein Gespräch und die geduldige Erörterung der Gründe, warum ein Antibiotikum in einer bestimmten Situation nicht hilfreich bzw. sogar schädlich ist. Eine von gegenseitigem Vertrauen begründete gute Kommunikation zusammen mit einem kritischen Bewusstsein von Arzt und informiertem Patient ist auch hier entscheidend für ein gutes Behandlungsergebnis.


Prof. Dr. Santiago Ewig Thoraxzentrum Ruhrgebiet Kliniken für Pneumologie und Infektiologie EVK Herne und Augusta-Kranken-Anstalt Bochum, (6. Symposium Lunge in Hattingen/NRW).


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