Traditionell werden Versorgungstrukturen im Gesundheitswesen hauptsächlich als Angebote der Medizin an den Patienten verstanden. Im Falle akuter kurzfristiger Erkrankungen ist dies auch durchaus realistisch, da der Patient erwarten kann, nach Diagnosestellung eine im besten Fall heilende Behandlung zu erhalten.
Völlig anders stellt sich die Situation bei chronischen Erkrankungen dar. Natürlich ist auch hier das Gesundheitssystem mit allen darin Tätigen, allen voran die Ärzte, gefordert, für den Patienten die zweckmäßigen und angemessenen diagnostischen und therapeutischen Leistungen verfügbar zu machen. Zusätzlich kommen aber je nach Erkrankung auf den Patienten dauerhafte und teils den Therapieerfolg wesentlich mitprägende Aufgaben und Pflichten zu. Beispielhaft sei hier das Krankheitsbild des jugendlichen Diabetes mellitus genannt, bei dem es ganz wesentlich auf die Eigenkompetenz des Betroffenen ankommt, wie sich die Erkrankung im weiteren Verlauf entwickelt.
Ähnliche Aspekte gelten auch für das Krankheitsbild der COPD. Diese ist meist gekennzeichnet durch eine sich sehr langsam entwickelnde Verschlechterung der Lungenfunktion, die zunächst wenig spürbar nur mit Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit einher geht und erst im weiteren Verlauf auch im Ruhezustand zu Atembeschwerden führt. Oft werden diese Symptome von den Betroffenen über Jahre nicht wirklich wahrgenommen oder aber verdrängt.
Unzählige Studien haben in den letzten Jahren bewiesen, dass Behandlungsmöglichkeiten bei der COPD, die der Patient nach entsprechender Anleitung selbst in die tägliche Behandlung seines Krankheitsbildes einbringen kann, von herausragender Bedeutung sind. Die pneumologische Rehabilitation kann in diesem Zusammenhang eine sehr wichtige und Prognose verbessernde Rolle spielen.
Die Erstdiagnostik der COPD wird in der Regel im hausärztlichen oder lungenfachärztlichen Bereich geleistet. Entsprechend wird danach eine den nationalen und internationalen Therapie-Leitlinien entsprechende medikamentöse Behandlung begonnen.
Die Anwendung der einzelnen Medikamente kann im Einzelfall jedoch schwierig sein. Es handelt sich meist nicht nur um das Schlucken von Tabletten, sondern es kommt der richtigen Anwendungstechnik von inhalierbaren Medikamenten eine große Bedeutung zu. Es gehört unbedingt zu einer umfassenden pneumologischen Rehabilitation ein intensives Schulungsprogramm, welches insbesondere die Anwendung der Pulver- und Spraypräparate im Alltag nochmals exakt überprüft und, falls notwendig, verbessert.
Da negative Einflüsse von außen die Stabilität von COPD-Patienten erheblich gefährden können, spielt auch die Vermittlung sinnvoller Verhaltensmaßnahmen eine wesentliche Rolle. So ist die Vermeidung inhalativer Irritationen (Schadstoffe, Abgase etc.) ebenso wichtig wie die Berücksichtigung von klimatischen Bedingungen z. B. für die Alltags- und Lebensplanung.
Entscheidend für den Verlauf ist in vielen Fällen die konsequente Meidung von Infektquellen, da akute Infektionen, Exazerbationen genannt, nicht nur zur akuten Verschlechterung des Zustands über einige Tage und Wochen führen, sondern sich bei häufigem Auftreten auch negativ auf die Prognose auswirken können.
Herausragendes Ziel der pneumologischen Rehabilitation ist es daher, dem Patienten so viel Wissen und Aufmerksamkeit für Warnsymptome zu vermitteln, dass er zum eigenen „Infektmanager“ ausgebildet wird. Dies schließt neben dem Versuch der Infektvermeidung die frühzeitige Erkennung und dann auch eine konsequente Behandlung solcher Exazerbationen mit ein.
Da bekanntlich das Zigaretten-Rauchen die häufigste Ursache für die Entstehung der COPD ist, wird der betreuende Arzt sicher die dringende Empfehlung zur Beendigung des Zigaretten-Rauchens aussprechen, falls dies noch nicht durch den Patienten selbst geschehen ist.
Hier liegt bereits die erste große, für die weitere Zukunft vielleicht wichtigste Eigenverantwortlichkeit auf Seiten des Patienten. Wir wissen heute, dass sich die Nikotinabhängigkeit von anderen Suchterkrankungen wie Alkoholsucht oder Drogensucht nicht wesentlich unterscheidet. Von daher ist die Umsetzung der ärztlichen Empfehlung für die Betroffenen teilweise nicht ohne weiteres erfolgreich zu gestalten. Fortgesetzter Zigarettenkonsum aber mindert den Effekt der Medikamente und verschlechtert weiter den Verlauf der COPD.
Hier kann eine Phase der pneumologischen Rehabilitation durch Angebot spezieller Entwöhnungsprogramme wesentliche Hilfestellungen bieten. Im Rahmen stationärer Verfahren, also in einer nicht alltäglichen Umgebung, können sehr verdichtete Therapieinterventionen angeboten werden, was ambulant so nicht immer ohne weiteres möglich ist. Im englischen Sprachgebrauch wird hier von einem „window of opportunity“ gesprochen, einer besonders geeigneten Situation, in der die Betroffenen weit weg von den Alltäglichkeiten leichter die Kraft für einen Rauchstopp aufbringen können.
Bei Patienten, die aufgrund einer fortgeschrittenen COPD bereits sauerstoffpflichtig sind, ist die kontinuierliche Gabe des Sauerstoffs zu den Zeiten, in denen ein Sauerstoffdefizit besteht, sehr wichtig. Hier ist es Aufgabe der Medizin herauszuarbeiten, unter welchen Bedingungen (Ruhe, Belastung, nachts) ein COPD-Patient wie viel Liter an Sauerstoff-Versorgung benötigt.
In letzter Zeit hat sich bei COPD-Patienten mit weit fortgeschrittener Erkrankung und drohender Erschöpfung der Atemmuskulatur (Atempumpe genannt) und damit einher- gehenden hohen Kohlendioxyd (CO2)-Werten die Etablierung einer nicht-invasiven Beatmung, die idealerweise in der Nacht durchgeführt werden kann, zu einer wichtigen ergänzenden Behandlungsform entwickelt.
In wenigen, sehr weit fortgeschrittenen, problematischen Fällen, bei denen die genannten Therapiemaßnahmen nicht zu einer ausreichenden Stabilisierung führen, muss seitens der behandelnden Ärzte geprüft werden, ob ein zusätzliches interventionelles (Einlage von z. B. Ventilen, AV-Shunt u. ä.) oder operatives Verfahren (Lungen-Volumen-Reduktion, Lungentransplantation) zur Besserung in Frage kommt.
Die aufgeführten Therapiemöglichkeiten stellen die wesentlichen Aspekte dar, die von ärztlicher Seite bei der Behandlung von COPD zu berücksichtigen sind. Damit ist in der Regel jedoch das Problem einer sinnvollen und notwendigen COPD-Therapie aber noch nicht ausreichend gelöst. Warum nicht?
Weil hier die konsequente und oft mühsame, weil dauerhafte Mitarbeit der Betroffenen gefordert ist. Noch so kluge und überzeugende Argumente gegen das Zigaretten-Rauchen führen zu keiner Veränderung, wenn der Patient nicht selbst mit Hilfe und Unterstützung der Medizin die Kraft aufbringt, sich von dieser zerstörerischen Sucht zu lösen.
Die Verordnung der für das Krankheitsstadium angemessenen Medikamente führt, wie wir alle wissen, ebenfalls nicht immer zum Erfolg, da die Medikamente entweder falsch, nicht regelmäßig oder zum Teil sogar nicht angewendet werden. Selbst Patienten, die eingehende COPD-Schulungen mitgemacht haben, zeigen in der Folge nicht immer ein kontinuierlich sinnvolles und angemessenes Verhalten in Alltags-Lebenssituationen und tragen damit zu vermeidbaren Destabilisierungen des Verlaufes ihrer Krankheit bei.
Konrad Lorenz (1903-1989) hat dieses menschliche Phänomen ganz wunderbar in folgenden Worten zusammengefasst:
Gesagt meint nicht gehört
Gehört meint nicht verstanden
Verstanden meint nicht einverstanden
Einverstanden meint nicht getan
Getan meint noch nicht beibehalten.
Es ist also ein langer Weg vom Hören zum dauerhaften Tun!
Gerade wenn es um die Langzeit-Sauerstofftherapie geht, bestehen in vielen Fällen unüberwindbare Hürden, indem sich die Betroffenen nicht trauen, mit dem Sauerstoff in die Öffentlichkeit zu gehen. Es wird vielleicht eine Sauerstoff-Behandlung zu Hause vor dem Fernseher oder nachts durchgeführt, in der wichtigsten Situation, nämlich der der körperlichen Belastung, in der der Sauerstoffbedarf am höchsten ist, wird diese jedoch nicht angewendet. Immer wieder erleben wir im Alltag, dass verordnete und auch seitens der Krankenkassen bezahlte Sauerstoff-Therapien nicht richtig oder gar überhaupt nicht zum Einsatz gelangen.
Wir Ärzte wissen, dass das Sich-Gewöhnen an eine nicht-invasive Beatmung für die Patienten eine große Herausforderung darstellt. Dennoch sehen wir immer wieder, dass in Einzelfällen sehr erfreuliche und oft nicht mehr für möglich gehaltene Verbesserungen des Zustandes zu erreichen sind. Mitunter ist jedoch der Widerstand auf Patientenseite gegen eine solche Therapie so groß, dass alle ärztlichen Bemühungen fruchtlos sind. Hier ist Vertrauen in den Arzt und in den Effekt der Beatmung seitens des Patienten unverzichtbar.
Auch Aspekte zur Gewichtsreduktion bei deutlichem Übergewicht führen im Alltag ebenfalls für Arzt und Patienten oft zu frustrierenden Momenten, da die empfohlenen Ziele nicht erreicht werden.
Im Alltag wird global ein solches Patientenverhalten, wo ärztliche Empfehlungen nicht oder nicht ausreichend konsequent umgesetzt werden, als mangelnde Mitarbeit, im englischen Sprachgebrauch als „Non Compliance“ bezeichnet.
Ein kluger amerikanischer Dozent hat einmal diese „Non Compliance“ als das vielleicht teuerste Phänomen in den Gesundheitssystemen dieser Welt bezeichnet, da zwar die richtigen Diagnosen gestellt, die angemessenen Behandlungen verordnet, aber wegen mangelhafter oder fehlender Anwendung die damit möglichen positiven Effekte nicht erzielt werden.
Ich persönlich glaube jedoch nicht, dass Non Compliance ausschließlich nur ein patientenseitiges Problem ist. Vielmehr widerspiegelt es in manchen Fällen auch die aus Mangel an Zeit entstehenden Missverständnisse, wodurch letztlich die fehlende Umsetzung ärztlicher Empfehlungen durch den Patienten resultiert.
Dies liegt teilweise in den Zwängen unseres Gesundheitssystems begründet, da im ambulanten Versorgungsbereich die dazu notwendige Zeit oft einfach nicht zur Verfügung steht, weil die Vielzahl der zu erledigenden Aufgaben den Behandelnden im Gesundheitssystem hierzu keinen Spielraum lässt.
Ähnliches gilt für den akut-stationären Bereich, in dem zwischenzeitlich die Liegezeiten im Krankenhaus inzwischen derart verkürzt worden sind, dass sich der ärztliche wie der pflegerische Bereich lediglich um die Beseitigung des akuten, zur stationären Aufnahme führenden Problems kümmern können.
Genau hier liegt die Chance und die Herausforderung für die pneumologische Rehabilitation. Dabei gilt es, Hürden von Frustration, Hoffnungslosigkeit, aber auch mangelnden Willen zu überwinden, um dem Patienten den Weg in eine meist nicht normale, aber doch bessere Zukunft zu zeigen.
In Deutschland findet pneumologische Rehabilitation bislang weitgehend nur im stationären Rahmen statt. Erste ambulante Versorgungsstrukturen entstehen zwar, sind jedoch noch bei weitem nicht flächendeckend vorhanden. Die Zukunft lässt aber erwarten, dass sich nach und nach wohnortnahe Rehabilitationsstrukturen etablieren werden, so dass das Angebot größer werden wird.
Zu einer umfassenden, multimodalen, an allen Aspekten der Erkrankung ansetzenden Rehabilitation gehört es nun, die dargestellten Aspekte aufzugreifen und für die Betroffenen in ein verständliches, überzeugendes und dann auch umsetzbares Licht zu setzen.
Gerade bei der COPD, einer Erkrankung, die gesellschaftlich leider einen nicht allzu hohen Stellenwert hat (oder hat schon einmal jemand im „Tatort“ einen COPD-Patienten gesehen?), mangelt es oft an der Phantasie und der Hoffnung, dass sich die Erkrankung noch wirklich wesentlich verbessern ließe. Vielmehr herrscht nach wie vor verbreitet eine ausgeprägte Skepsis, die man auch als therapeutischen Nihilismus bezeichnen könnte.
Aus vielen Studien und eigener Erfahrung haben wir jedoch in den letzten Jahren lernen können, dass die Summe der gerade besprochenen Behandlungsansätze zu einer spürbaren, die Leistungsfähigkeit und die Lebensqualität deutlich verbessernden Änderung des Krankheitsverlaufes führen kann. Aktuell zeigen auch erste Studien, dass sogar die Lebenszeit durch Rehabilitation verlängert werden kann. Dies ist außer für die Sauerstoff-Therapie für noch keine medikamentöse Behandlung der COPD gezeigt worden.
Die COPD, die für das Jahr 2020 weltweit dritthäufigste Erkrankung prognostiziert wird, ist in der Zukunft immer mehr eine Herausforderung an die Medizin, da sie sich nur bedingt therapeutisch beeinflussen lässt. Sie ist aber insbesondere eine Herausforderung an die Betroffenen selbst, die all ihre Kraft und Motivation aufwenden müssen, um sich gegen das, was das abwartende Nichtstun bringen würde, aktiv zu wehren.
Pneumologische Rehabilitation bei COPD sollte also als Hilfe zur Selbsthilfe, als Aufruf zur Eigenverantwortung und Anstoß zu stetigem und dauerhaftem Selbsttun verstanden werden. Wenn die COPD eine chronische, langsam fortschreitende Erkrankung ist, so stellt sich eigentlich nicht die Frage, wie lange eine Rehabilitation durchgeführt werden sollte, sondern nur, unter welchen Bedingungen sie dauerhaft, also lebenslänglich, umgesetzt werden kann.
Um dies zu erreichen, ist eine kompetente, all diese Aspekte ansprechende pneumologische Rehabilitation zwar eine gute Voraussetzung. Erfolgreich wird sie aber erst dann sein, wenn es im Kopf des Patienten den berühmten „Klick“ gegeben hat, der ihn erleben lässt, dass körperliches Training trotz Atemnot möglich ist und durch Eigenkompetenz ein Verlauf, der zuvor immer nur mehr oder weniger schnell abwärts zeigte, in günstigere Bahnen gelenkt werden kann. Eine oft erzielbare Wende zum Besseren wird auch dazu beitragen können, die mit der COPD einhergehende Bedrohung durch Angst und Depression abzubauen und am Ende eines düster scheinenden Tunnels wieder Licht erkennen zu lassen. Leider finden diese psychischen Aspekte bisher im Alltag nur wenig Beachtung und werden sowohl von Ärzten wie auch von Patienten nur selten offen angesprochen.
Zusammenfassend ist zu sagen, dass das Gesundheitssystem bei der COPD frühzeitig die sinnvollen und verfügbaren Behandlungsoptionen ermöglichen muss. Die vielleicht größere Last liegt aber auf den Schultern der Betroffenen selbst, die ihre eigene Hoffnungslosigkeit und Resignation überwinden müssen, um letztlich den möglichen Behandlungserfolg am eigenen Körper spüren zu können.
Die pneumologische Rehabilitation kann und muss hierzu entscheidende Impulse bieten und die Betroffenen auf diesem Weg begleiten.
Dr. Klaus Kenn, Chefarzt Schön Klinik Berchtesgadener Land, (4. Symposium Lunge in Hattingen/NRW).
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